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Berlin, 20. Jänner 2023 (aiz.info)

Spitzenagrarier: Wettbewerbsfähigkeit bäuerlicher Betriebe nicht schwächen

Heimische Agrarier bei Grüner Woche Berlin: angepasste Strategien erforderlich

Corona, Klimawandel und der Krieg in der Ukraine haben deutliche Auswirkungen auf die Landwirtschaft in Österreich. Durch die Erzeugung von hochwertigen Qualitätsprodukten unter hohen Umwelt- und Tierwohlstandards sind die heimischen Bäuerinnen und Bauern dennoch auf einem guten Weg. Allerdings dürfe die Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln durch überschießende EU-Regulierungen und -Einschränkungen nicht untergraben werden, meinten heute, Freitag, Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig, Landwirtschaftskammer (LK) Österreich-Präsident Josef Moosbrugger und der Vorsitzende des Landwirtschaftsausschusses Georg Strasser in einem Pressegespräch auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin. 
 
"Bei der Umsetzung des Green Deals und des Fit for 55 Pakets muss die Versorgungssicherheit berücksichtigt werden. Es gilt weiterhin Allianzen auf EU-Ebene zu bilden, um Potenziale zu nützen", führte Totschnig aus. Das sei auch das Ziel bei erneuerbarer Energie. "Aktive, multifunktionale Waldbewirtschaftung, wie wir sie in Österreich praktizieren, und die nachhaltige Nutzung von Holz sind Schlüsselfaktoren für die Versorgung mit erneuerbarer Energie und damit weniger fossile Importe. Umso unverständlicher sind die Pläne auf EU-Ebene, nachhaltige Biomasse nicht mehr als erneuerbar einzustufen. Atomstrom bekommt ein grünes Mascherl, Kohlekraftwerke werden wieder aktiviert, aber nachhaltige Biomasse soll eingeschränkt werden - das passt in Zeiten der Energiekrise nicht zusammen", betonte Totschnig. Erst kürzlich hat sich die österreichische Bundesregierung auf das Erneuerbaren Gase Gesetz (EGG) geeinigt, durch das die Biogasproduktion bis 2030 auf 10,5 TWh ausgebaut werden soll. Dies entspricht rund 11% des aktuellen österreichischen Jahresverbrauchs.
 
Für eine ökosoziale Agrarpolitik auch auf europäischer Ebene will sich Totschnig die nächsten Monate einsetzen. Themen sind etwa die Erneuerbare-Energien-Richtlinie, eine aktive Waldbewirtschaftung als Schlüssel für weniger fossile Importe, der Vorschlag für ein Gesetz zur Wiederherstellung der Natur - Thema Biodiversität- oder etwa die auf EU-Ebene vorgeschlagene Halbierung chemischer Pflanzenschutzmittel bis 2030. Zu Letzterem fordert Totschnig eine erweiterte Folgenabschätzung, die auch die Auswirkungen durch Krieg und Teuerung sowie auf die Selbstversorgung mit Grundnahrungsmitteln berücksichtige. Nach dem gestern veröffentlichten Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) für das Verbot von Notfallzulassungen für Neonicotinoide im Freiland erwartet Totschnig eine Stellungnahme von der EU-Kommission. Österreich hat von der Notfallzulassung etwa für die Beize von Zuckerrübensaatgut Gebrauch gemacht. "Die Versorgung mit Lebensmitteln hat für uns in Österreich oberste Priorität. Gleichzeitig stehen Arbeitsplätze und Wertschöpfung am Spiel und es geht auch hier um Abhängigkeiten", machte Totschnig deutlich, der das Thema beim nächsten EU-Agrarministerrat Ende Jänner ansprechen wird. 
 
Schließlich will der Minister auch eine Eiweißstrategie auf EU-Ebene voranbringen, um die Eigenversorgung zu steigern. "Österreich und Frankreich haben die EU-Kommission daher aufgefordert, eine EU-Eiweißstrategie zu erarbeiten. Dieser Vorstoß wurde von 19 weiteren Mitgliedsstaaten mitgetragen. Nun kommt Bewegung in dieses Vorhaben", so Totschnig. 
 
"Einmal mehr hat sich aber gezeigt, dass wir mit der ökosozialen Agrarpolitik den richtigen Weg eingeschlagen haben. Die Lebensmittelversorgung ist weiterhin gesichert. Das verdanken wir unserer kleinstrukturierten, familiengeführten Landwirtschaft. Wenn es darum geht, die Zeichen der Zeit zu erkennen, uns nachhaltig weiterzuentwickeln und gleichzeitig Versorgungsicherheit zu garantieren, gehören wir zu den Vorreitern. Diesen ökosozialen Erfolgsweg muss auch die EU-Landwirtschaft einschlagen. Wir sind mit 26 % Flächenanteil Bio-Europameister und gehören zu den Ländern mit den höchsten Tierwohlstandards der Union. Zudem machen 80% unserer Betriebe freiwillig beim Agrarumweltprogramm mit. Darüber hinaus waren wir eines der ersten EU-Länder, die die neue Gemeinsame Agrarpolitik umgesetzt haben", so Totschnig.
 
Moosbrugger: Strategien, die Umwelt und Produktion gleichermaßen berücksichtigen
 
Gegen widersprüchliche Politik und Anforderungen sprach sich Moosbrugger aus. "Nach extremen Kostensteigerungen bei landwirtschaftlichen Betriebsmitteln stehen gleichzeitig ein umfangreiches Anforderungspaket auf EU-Ebene sowie die Forderung nach leistbaren, günstigen Lebensmitteln im Raum." Mit Blick auf Green Deal, Farm to Fork, den Vorschlag für ein Gesetz zur Wiederherstellung der Natur, die Außer-Nutzung-Stellung von Wäldern oder die Halbierung chemischer Pflanzenschutzmittel fordert Moosbrugger "kluge, ausgewogene" Strategien, die Umwelt und Produktion gleichermaßen berücksichtigen. Als Negativbeispiel brachte er die Lebensmittelverschwendung am Feld, wenn die Ernte nicht ausreichend vor Schadorganismen geschützt werden könne. "Die Landwirte verlieren den Überblick und sind verunsichert. Dabei haben heimische Bäuerinnen und Bauern hinsichtlich Umwelt und Biodiversität sowie Tierwohl schon viel voraus. Unverzichtbare Betriebsmittel zur reduzieren und Biomasse auszubremsen, ist genau das Gegenteil, von dem, was wir brauchen. In der aktuellen Bewältigung von Krisen, gehen die EU-Bestrebungen an den aktuellen Herausforderungen vorbei", stellte der LK Österreich-Präsident klar. Die Zustimmung für die EU-Institutionen werde nur dann zunehmen, wenn die Bäuerinnen und Bauern auch vertrauen können. Dazu brauche es langfristig stabile Regeln. Nur so könne sich der Sektor ausbalanciert und sinnvoll weiterentwickeln.
 
"Wir brauchen zum Ausbau der Krisenfestigkeit unserer Versorgung europaweit eine bessere Balance zwischen Umwelt, Wirtschaft und Sozialem, sprich echte Nachhaltigkeit. Zentrale Ansatzpunkte sind aus meiner Sicht unter anderem die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig wirtschaftender Familienbetriebe - auch durch einen angemessenen Wertschöpfungsanteil - und eine dringend notwendige Entbürokratisierung. Ich warne vor ständig weiter steigenden Standards, die auf den Märkten derzeit nicht nachgefragt werden und uns im internationalen Konkurrenzkampf auf das Abstellgleis führen. Ein Erfolgsschlüssel heißt Marktorientierung", betont Moosbrugger, der auch auf das forcierte Marketing für regionale Produkte verwies. "Wesentliche Zukunftsthemen sind auch verstärkte Forschung, Entwicklung und Digitalisierung für eine nachhaltige, effiziente Produktion sowie mehr Tempo beim Ausbau aller Erneuerbaren, wie Biogas und Biomasse. Des Weiteren muss Ausgewogenheit im internationalen Handel im Fokus stehen. Dazu zählen mehr CO2-Kostenwahrheit (carbon border adjustment mechanism), vergleichbare Standards und somit Wettbewerbsfairness", fordert der LKÖ-Präsident.
 
Strasser: Österreichs Bauernfamilien stellen Versorgung nachhaltig sicher
 
"Unsere Bauernfamilien sind bereit, höhere gesellschaftliche Anforderungen zu erfüllen - dafür braucht es aber eine praxisorientierte Gesetzgebung und wirtschaftlich machbare Vorgaben", stieß der Obmann des Landwirtschaftsausschusses Georg Strasser in dasselbe Horn. "Mit der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik ab 2023 läuft auch die Beantragung zum Agrarumweltprogramm ÖPUL. Die Anzahl der Betriebe, die sich freiwillig für Klima-, Umwelt- und Artenschutz entscheiden, konnte im Vergleich zum Vorjahr um 4.000 gesteigert werden. 90.000 Anträge für das heurige Jahr zeigen, dass unsere Bäuerinnen und Bauern den Schutz von Flora und Fauna ernst nehmen und vorleben. In Anbetracht aktueller Verwerfungen auf den Märkten sind diese zusätzlichen Leistungen umso höher einzustufen", brachte Strasser vor.
 
Dass österreichische Qualität auch international gefragt sei, belegt die aktuelle Agrar-Außenhandelsbilanz, die in den ersten drei Quartalen 2022 mengenmäßig einen Anstieg um 1,1% verzeichnete. "Die Produkte unserer Bäuerinnen und Bauern werden über unsere Landesgrenzen hinaus nachgefragt. Wer Speck oder Käse aus Österreich kauft, der kauft auch Mehrleistungen für Umwelt und Klima. Der beste Indikator für die Qualität heimischer Produkte ist und bleibt das AMA-Gütesiegel. Es steht für hohe Standards und nachvollziehbare Herkunft. Dahinter steht die tägliche Arbeit von mehr als 40.000 bäuerlichen Familienbetrieben, die besonders hochwertige Lebensmittel produzieren und dabei nachhaltig die Versorgung sichern. Um den Anforderungen der Gesellschaft weiterhin zu entsprechen, wird das AMA-Gütesiegel nun weiterentwickelt und ausgebaut. Unsere langjährige Forderung nach einem Gütesiegel für Brot und Backwaren wird dabei umgesetzt. Somit entsteht neben dem Veredelungsbereich auch für Getreide eine zusätzliche Vermarktungsschiene. Jeder Euro, der in das AMA-Gütesiegel investiert wird, kommt auch wieder auf den Betrieben an und sichert den Fortbestand der kleinstrukturierten österreichischen Landwirtschaft, die ein europaweites Vorzeigemodell ist", so Strasser. (Schluss) hub
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