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Brüssel, 30. April 2025 (aiz.info)

Weizen und Gerste im überarbeiteten EU-Ukraine-Abkommen angemessen schützen

Gastbeitrag von Cédric Benoist, Vorsitzender der Arbeitsgruppe "Getreide" von COPA-COGECA

Cédric Benoist, Vorsitzender der Arbeitsgruppe "Getreide" von COPA-COGECA, dem Dachverband der EU-Landwirte und -Genossenschaften, hat kürzlich folgenden kritischen Gastbeitrag zur anstehenden Überarbeitung des EU-Ukraine-Assoziierungsabkommens verfasst:
 
Als Ackerbaubetreiber in Mittelfrankreich habe ich drei für unseren Produktionssektor besonders schwierige Jahre an vorderster Front miterlebt. Durch den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen in der EU weiß ich, dass meine Erfahrung eine breitere, geteilte Realität widerspiegelt.
 
Belastung und Unsicherheit nehmen in unseren Reihen wieder zu. In weniger als einem Monat werden die derzeitigen Autonomen Handelsmaßnahmen (ATM) mit der Ukraine auslaufen. Wir dürfen die Fehler aus der Vergangenheit nicht wiederholen, auch wenn es aktuell nicht so aussieht, als würde das gelingen. 
 
Wenn Weichweizen und Gerste in der anstehenden Überarbeitung des EU-Ukraine-Abkommens nicht angemessen geschützt werden, könnte sich der Getreidesektor in der EU nicht mehr erholen - und keine Vision für die Zukunft der Landwirtschaft wäre in der Lage, diesen Schaden wieder rückgängig zu machen.
 
Die Covid19-Krise und der Krieg in der Ukraine hatten einen dramatischen Anstieg der Produktionskosten zur Folge, der hauptsächlich auf die steigenden Preise von Düngemitteln zurückzuführen ist. In Frankreich beispielsweise stiegen 2020 die durchschnittlichen Produktionskosten von Weichweizen pro Hektar auf 1.414€. 2023 lag der Preis dann bereits bei 2.065€ mit einer ähnlichen Preiserwartung für 2024. Ein Anstieg von 46% ist alles andere als unbedeutend.
 
Ähnliche Entwicklungen gibt es EU-weit, mit einem Anstieg der Produktionskosten von 36% in Rumänien, 24% in Belgien und schwindelerregenden 68% in Irland.
 
Hätte der Markt die steigenden Kosten tragen können, müssten wir jetzt nicht Alarm schlagen. Das Problem ist jedoch, dass die Getreidepreise in Europa dieser Preisentwicklung nicht gefolgt sind, insbesondere bei den Produkten, die seit der Handelsliberalisierung nach dem Ausbruch des Krieges in großem Umfang aus der Ukraine eingeführt werden.
 
Heute liegen die Preise für Weichweizen deutlich unter dem Vorkriegsniveau. In Frankreich beispielsweise lag der Preis Ende 2023 bei 209€ pro Tonne, 2020 waren es noch 304€.  Einige argumentieren, dass das Jahr 2020 aufgrund der Pandemie eine Ausnahme darstellt, aber auch 2018 lag der Durchschnittspreis bei 195€ pro Tonne. Das ist zwar etwas weniger als heute, aber das war vor sieben Jahren, also in einer anderen Zeit, lange vor der aktuellen Inflation.
 
Getreide, das nicht von den großen Importmengen aus der Ukraine betroffen ist, wie z.B. Hartweizen, hat eine gesunde Preisentwicklung erlebt.  Der heutige Preis von 315€ pro Tonne liegt nicht nur über dem von 2020, sondern auch deutlich über dem Durchschnittspreis von 230€ pro Tonne aus dem Jahr 2018. Die Unterschiede sind bemerkenswert und bringen uns zu folgender Schlussfolgerung: Die Getreideimporte aus der Ukraine haben zu einem Überschuss geführt was wiederum die Preise für wichtige Getreidesorten aus der EU heruntergedrückt hat.
 
Vor der Handelsliberalisierung 2020 wurden Importe von Weichweizen aus der Ukraine auf 0,5-1 Millionen Tonnen beschränkt und durch ein Zollkontingent von 1 Millionen Tonnen gedeckelt. Seit der Aussetzung dieses Kontingents sind die Importe auf 6,5-7 Millionen Tonnen jährlich in die Höhe geschnellt.
 
Diese zusätzlichen Einfuhren haben andere Quellen nicht ersetzt - die gesamten Weizeneinfuhren der EU stiegen von 2-3 Millionen Tonnen auf über 9 Millionen. Auch die Produktion in der EU wurde dadurch nicht verdrängt und sank um nur 1 Millionen Tonnen.  Die Einfuhren waren auch keine Antwort auf eine steigende Nachfrage. Im Gegenteil: Der Verbrauch von Weichweizen und ähnlichen Getreidesorten ging zurück.
 
Manch einer könnte denken, dass die Importe von Weichweizen andere Getreidesorten, die für ähnliche Zwecke genutzt werden, ersetzen werden.  Das ist nicht der Fall.  Die Gesamteinfuhren in der EU stiegen von 22 Millionen Tonnen im Jahr 2020 auf 33 Millionen Tonnen im Jahr 2023, ein Anstieg von 50%, während die Exporte von 52 Millionen Tonnen auf 50 Millionen Tonnen leicht sanken.
 
Die Arithmetik dahinter ist einfach: Der EU Markt steht jetzt vor einem Überschuss von mindestens 5 Millionen Tonnen Weichweizen und einer ähnlichen Menge für Gerste. Man muss kein Wirtschaftswissenschaftler sein, um zu verstehen, dass bei steigendem Angebot und gleichbleibender Nachfrage die Preise unweigerlich sinken.  Und hierbei wurde noch nicht einmal berücksichtigt, dass die Produktion in der EU geringer war, als in den vergangenen Jahren.
 
Als die Rahmenarbeit zu den ATM eingeführt wurde, wurden Weichweizen und Gerste von den Schutzmechanismen ausgeschlossen, weil man annahm, dass die Marktliberalisierung für diese Produkte kein Risiko darstellte. Zu der Zeit reiste ich in meiner Rolle als Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Getreide“ nach Brüssel, um mich mit Kommissionsbeamten, Vertretern der Mitgliedsstaaten und all denjenigen, die bereit waren zuzuhören, zu treffen.  Ich rief dringend dazu auf, Weichweizen und Gerste in die Schutzmechanismen einzubeziehen.  Die Antwort war immer die gleiche: Dass es keine Anzeichen für Marktstörungen gäbe, lediglich die normalen Schwankungen.
 
Nach drei aufeinanderfolgenden Jahren mit negativen Erträgen aus meiner Getreideproduktion kann ich die Behauptung „Es gibt keine Marktstörung“ nicht mehr akzeptieren. Ich kann nicht mehr akzeptieren, dass Weichweizen und Gerste wiederholt von dem Schutz des überarbeiteten EU-Ukraine-Abkommens ausgeschlossen sind. Und ich kann nicht akzeptieren, dass die EU-Institutionen weiterhin grundlegende, wirtschaftliche Wahrheiten ignorieren.
 
Frau Präsidentin Von der Leyen, Herr Kommissar Šefčovič, wir rufen dringend dazu auf, gesunden Menschenverstand walten zu lassen und schnell zu handeln, um den Getreidesektor in der EU zu schützen, bevor es zu spät ist, und die Zollkontingente für Weichweizen und Gerste wieder so einzuführen, wie sie vor dem Krieg bestanden. Die Unterstützung der Ukraine ist nicht verhandelbar - keine Frage.  Die Herausforderung liegt allerdings darin, eine Strategie zu entwickeln, die Synergien zwischen der Landwirtschaft der Ukraine und unserer eigenen schafft.  Der Ukraine dabei zu helfen, den Zugang zu ihren traditionellen Märkten, die aktuell von Russland angegriffen werden, wieder zu erlangen, ist eine weitaus nachhaltigere und strategisch wertvollere Lösung.  Der Versuch, für den Verlust der Märkte in der Ukraine mit unseren eigenen aufzukommen, wird nur zu inneren Spannungen führen und dem wachsenden Einfluss Russlands in der globalen Getreidediplomatie direkt in die Hände spielen. (Schluss)
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